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Sommerfest der KunstGesellschaft

Das diesjährige Sommerfest findet am 7. September 2024 als Teil des SlowArt-Kunstfests in Butzbach-Griedel statt. Nähere Informationen hier.
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In der Zeit sein – Zur Erinnerung an Rolf Kissel

Der Frankfurter Maler und Bildhauer Rolf Kissel ist am 25. Juni 2024 im Alter von 95 Jahren gestorben.

Wir haben ihn 1985 kennen gelernt, als wir in der „Galerie im Bunker“ in Bornheim und im Gewerkschaftshaus die Ausstellung „Widerstand – Befreiung – Frieden“ zum 40. Jahrestag des Kriegsendes machten. Er beteiligte sich daran, zusammen mit 33 anderen Künstlerinnen und Künstlern aus der Bundesrepublik.

Es war der Beginn einer Freundschaft, die sich dann bei einer ganzen Reihe gemeinsamer Projekte bewährt hat. Sei es bei der Eröffnung seiner Ausstellungen oder bei Bildergesprächen zu Werken von ihm, sei es, dass wir 1998, zum 150. Jahrestag der Revolution von 1848, die Kunstaktion „Spirale der Gerechtigkeit“ mit ihm zusammen veranstalteten. Er entwarf dafür eine Fahne, die wir bei der offiziellen Feier vor der Paulskirche zeigten, aber auch im Rheingau, in Kiedrich, wo sich die historische Spirale der Gerechtigkeit befindet, ein Schnitzwerk am Gestühl der gotischen Kirche von Erhart Falckener aus dem Jahr 1510.

Rolf Kissel war ein politisch engagierter Künstler. Das zu sagen bedeutet nicht, dass er seine Kunst je politischen Zwecken unterworfen hätte. Als Künstler hat er früh seine Wahl getroffen, nicht unbeeinflusst von seinerzeitigen Strömungen der Nachkriegszeit. Er entschied sich für die konstruktivistische Richtung, für das, was man landläufig „Abstraktion“ vom Gegenständlichen, Figurativen nennt. Das Politische in der Kunst ist ja keine Frage des Stils, sondern eine Frage der Haltung.

Das Abstrakte, Konstruktive ging bei Kissels Bildern und Objekten nicht so weit, dass nicht Assoziationen an Landschaft, Horizontlinien, Gebirgszüge oder Bauwerke nahe lagen oder zumindest möglich blieben. Der Reiz des Materials – ob pastoser Farbauftrag, Holz oder matt glänzendes Aluminium – spielte immer mit. Kissels Bilder griffen in den Raum aus, als eine Art Relief oder Modell für plastische Gestaltungen. Die konnte er dann bei größeren Aufträgen realisieren, unter anderem für die Alte Oper oder für die Erlöserkirche in Fechenheim.

Die Friedensbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre war für Rolf Kissel und seine Frau Sara Herzenssache. Der Kalte Krieg drohte, mit der Installation neuer Raketensysteme in Ost und West, noch einmal zum heißen Krieg zu treiben. Wie in der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ der 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts engagierten sich in der Bundesrepublik Hunderttausende, demonstrierten in Bonn oder am „Fulda Gap“, wo die Rote Armee, so hieß es, im Fall des Falles nach Westeuropa vorstoßen würde. Rolf Kissel und seine Frau waren bei den Demonstrationen dort dabei. Auch mit Buttons, Aufklebern und Plakaten, die Kissel entworfen hatte.

Eine andere Station ihres Engagements war der Kampf um den Börneplatz, die Erhaltung der Reste der Frankfurter Judengasse, der immerhin mit einem Kompromiss endete. Auch hier war Rolf Kissel nicht nur als Demonstrant beteiligt, sondern mit eigenen künstlerischen Beiträgen.

Wenn man seine Plakate zu politischen Anlässen betrachtet, entdeckt man, dass sie, über ihren operativen Zweck hinaus, kleine Kunstwerke sind. Ihre Machart korrespondiert mit den Bildern, die Kissel zur gleichen Zeit machte – zum Thema Judengasse, zu den Themen von Krieg und Frieden, zum alltäglichen Rassismus, der beschönigend „Ausländerfeindlichkeit“ genannt wurde. Meistens arbeitete Kissel mit Gitterstrukturen, konstruktiven Rastern, in die Ausschnitte und Ausrisse diverser Herkunft, Textfragmente, Typografisches, Farbspuren quasi eingehängt oder eingearbeitet wurden. Auch Zeitungspartikel und gängige Parolen verschmähte er nicht, montierte oder besser demontierte sie in seinen Bildern.

Seine Bilder waren jetzt nicht mehr so „rein“ wie bei den frühen Werken, den von ihm so genannten Licht-Reliefs. Manche mögen sich daran gestört haben, aber wie sollte der Künstler unbeeindruckt bleiben von dem, was sich um ihn herum entwickelte. Der Elfenbeinturm ist immer nur etwas für wenige. Und auch er schützt vor Erkenntnissen nicht. Rolf Kissel ging lieber auf den Römerberg, um während des ersten Golfkrieges jeden Tag einen mit dem jeweiligen Datum bemalten Stein hinzulegen, so gegen die Fortdauer des Kriegs protestierend.

Eine hervorgehobene Rolle in seinem Werk spielte die Serie großformatiger Collagen „Briefe aus Weimar“. Sie war ein Beispiel dafür, wie er mit Geschichte umging. Er nahm den Begriff wörtlich – Geschichte als Überlagerung von Schichten. Auf den Bildern wird diese Überlagerung exemplarisch deutlich. Die berühmten Stätten der Weimarer Klassik wie das Deutsche Nationaltheater oder Goethes Gartenhaus im Park werden konfrontiert mit den Umrissen und Schatten von Baracken des Konzentrationslagers Buchenwald. Architektur der einen und der anderen Art – zur Kenntlichkeit über- und nebeneinandergelegt. Textstücke von Goethe stehen neben den Notaten der Todesverwalter. Hohe Kultur und Barbarei, das ist eine Lehre der deutschen Geschichte, schließen einander nicht aus.

Rolf Kissel wollte, so sagte er einmal, „in der Zeit sein“. Das bedeutete für ihn das Gegenteil einer Anpassung an den Zeitgeist. Es hieß nicht nur, die Spuren des Vergangenen im Heutigen zu entdecken, sondern auch die Spuren des Zukünftigen. Marcel Proust und Ernst Bloch haben ihn beschäftigt und er hat ihnen, ihrem Verständnis von Zeit, einige Bilder gewidmet.

Es gibt in Kissels Werk auch eine Leichtigkeit, die die Schwere der Themen, die Last der Vergangenheit, mit der sich alle Angehörigen seiner Generation auseinandersetzen mussten, im guten Sinne aufhebt. Manchmal, vor allem in den 1998 entstandenen Aquarellen von einer Reise in den Süden Europas scheint – gerade auch in ihrer für Kissels Werk überraschenden Farbigkeit –  etwas von der Utopie des guten Lebens auf, eines „Alltags jenseits der Schwerkraft“ (so der Titel einer Ausstellung von ihm).

Vor allem das Weiß, das in seinen Bildern eine große Bedeutung hat, aber oft übersehen wird, weil man sich doch gerne an das Gezeichnete und Gemalte klammert, trägt zur Leichtigkeit bei. Weiß war für Kissel die „Summe aller Farben“: „Weiß ist für mich der universelle Raum, obwohl das Universum als dunkler Raum erscheint. Weiß öffnet sich, Schwarz saugt alles auf. Weiß ist die universelle Freiheit.“

Kunst braucht Öffentlichkeit. Aber sie soll nicht nur öffentlich sichtbar sein, sie soll auch sichtbar machen. Von Paul Klee stammt der Satz: „Kunst stellt nicht das Sichtbare dar, sie macht sichtbar.“ Rolf Kissel hat sich diesem Anspruch durch alle Phasen seines Werks hindurch verpflichtet gefühlt. Sichtbar machen, was nicht offensichtlich erscheint, was den Blicken sonst verborgen bleibt: Das kann die Struktur eines Materials, einer Materie sein, eine gedachte Konstruktion oder auch eine unbequeme Wahrheit.  

Wir werden Rolf Kissels Andenken bewahren.

Reiner Diederich     


Am 11. Mai waren Prof. Reiner Diederich und Tamara Zippel zu Gast im Studio des Frankfurter Stadtradios „Radio X“, in der Sendung „x wie raus“ mit Günther Michels. Das Gespräch drehte sich um Geschichte und Konzept des Vereins, vergangene und kommende Projekte und das aktuelle Programm. Die Anwesenden tauchten ein in die Welt der Kunstanalyse und der Methodik des Bildergesprächs.

Hier können Sie sich einen Mitschnitt des Interviews anhören.


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