Dienstag, 25. April 2023, 18 Uhr – Online-Bildergespräch mit Prof. Dr. Georg Bussmann
Georg Bussmann war 1987 Mitglied der Jury des Wettbewerbs zum Wandbild in der Paulskirche, bei dem Johannes Grützke den 1. Preis erhielt.
Der Sinn der „Bildergespräche“ der KunstGesellschaft Frankfurt ist die Annäherung an ein Bild/Gemälde, wozu keine kunsthistorischen Vorkenntnisse von Nöten sind. Gemeinsam geht man auf Entdeckungsreise. Die verschiedenen Wortbeiträge bringen der Gemeinschaft das Gemälde dann näher. Jeder Beitrag ist wertvoll und erweitert den Betrachtungshorizont. Ergänzt wurde das Ganze dieses Mal durch Informationen der Moderatoren und besonders auch durch die Erfahrungen von Prof. Dr. Bussmann, der bei der Entscheidungskommission für dieses Bild in der Wandelhalle der Paulskirche seinerzeit mitwirkte.
Das Bild in der Wandelhalle der Paulskirche ist so riesig, dass man einige Zeit benötigt, um es in Gänze erfassen zu können. Anschauen kann man das Gemälde kostenlos, immer dann, wenn die Paulskirche geöffnet ist. Vor kurzem hatte ich mir das Bild angesehen und war von der Größe beeindruckt. Fotos gestalteten sich schwierig, da die großen Säulen das Gemälde immer wieder in Abschnitte unterteilen. Zudem ist die Beleuchtung doch sehr dürftig und auch an Erklärungen, wenigstens zu geschichtlichen Hintergründen, die in Teilen auf dem Bild dargestellt sind, mangelt es leider. Vielleicht ist das so, weil dieses provokante ins Groteske schweifende Gemälde eher ein ungeliebtes Stiefkind der Frankfurter ist.
Der anfängliche Eindruck eines großformatigen Historienbildes in realistischer Darstellung wendet sich bei genauerem Hinsehen in eine provokante Herausforderung, sich mit der Geschichte der Paulskirchenversammlung 1848 auseinanderzusetzen.
Historischer Hintergrund zur Nationalversammlung 1848/49 in der Paulskirche Frankfurt:
Wirtschaftliche Krisen, Massenarmut und allgemeine politische Unzufriedenheit destabilisierten seit Beginn der 1840er Jahre die soziale und politische Ordnung in zahlreichen europäischen Staaten und mündeten 1848 schließlich in eine ganz Europa erfassende revolutionäre Welle. Auch in Deutschland wurden auf Versammlungen und Demonstrationen die Gewährung von Grund- und Freiheitsrechten und nationale Einheit gefordert. Unter dem Eindruck der revolutionären Dynamik gaben die restaurativen Kräfte schließlich ihren Widerstand auf und machten der von breiten Schichten getragenen Bewegung wesentliche Zugeständnisse: Die Zensur wurde aufgehoben, politische Aktivitäten zugelassen und reformbereite Regierungen ernannt. Auch der Einberufung einer Nationalversammlung, die die Errichtung eines deutschen Nationalstaats in die Wege leiten sollte, stimmten die Machthaber in den deutschen Einzelstaaten zu.
Ende März 1848 entschied das aus Landtagsabgeordneten und führenden Vertretern der liberalen und demokratischen Opposition zusammengesetzte Vorparlament, die Mitglieder der Deutsche Nationalversammlung nach einem allgemeinen und gleichen Mehrheitswahlrecht von volljährigen, „selbständigen“ Männern wählen zu lassen. Die Durchführung der Wahlen oblag den Einzelstaaten und wurde höchst unterschiedlich gehandhabt. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Paulskirchenparlaments betrug 649 Abgeordnete; aufgrund von Wahlboykotten gab es aber nur 587 reguläre Parlamentarier. Einschließlich aller Stellvertreter bzw. nachrückenden Abgeordneten haben bis zur Auflösung des so genannten Stuttgarter Rumpfparlaments am 18. Juni 1849 insgesamt 809 Abgeordnete an den Verhandlungen des ersten deutschen Nationalparlaments teilgenommen.
Am 18. Mai 1848 versammelten sich in der Frankfurter Paulskirche die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Zu ihrem ersten Präsidenten wählte die Nationalversammlung den angesehenen liberalen Politiker Heinrich von Gagern. Das Parlament gab sich eine Geschäftsordnung und setzte zur vorbereitenden Beratung Ausschüsse und Kommissionen ein. Unter diesen ragt insbesondere der Verfassungsausschuss hervor, der maßgeblich die später von der Paulskirche verabschiedete Verfassung konzipiert hat.
Zur Vorbereitung der Arbeit in Plenum und Ausschüssen kamen Abgeordnete mit ähnlichen politischen Zielvorstellungen und Interessen in Klubs zusammen, um über die anstehenden Fragen zu beraten und das weitere Vorgehen abzustimmen. Diese nach den jeweiligen Tagungslokalen benannten Klubs gelten als Vorformen parlamentarischer Fraktionen, die zwar noch nicht die Geschlossenheit und Verbindlichkeit späterer Parlamentsfraktionen aufwiesen, sich aber gleichwohl für die Organisation und Strukturierung der Debatten und Entscheidungen als unerlässlich erwiesen. Die parlamentarischen Klubs der Paulskirche repräsentierten maßgebliche politische Strömungen der Zeit: Die monarchistische Rechte (Steinernes Haus, Café Milani) setzte sich für die Wahrung der Vorrechte der Einzelstaaten und der Monarchen ein. Die verschiedenen liberalen Gruppierungen des so genannten rechten und linken Zentrums (Casino, Augsburger Hof, Landsberg, Pariser Hof, Württemberger Hof) befürworteten eine föderal strukturierte, konstitutionelle Monarchie mit einem Parlament und einem erblichen Kaiser als Staatsoberhaupt.
Demgegenüber forderten die Fraktionen der demokratischen Linken (Deutscher Hof, Donnersberg, Nürnberger Hof, Westendhall) die Errichtung einer auf dem Prinzip der Volkssouveränität gründenden parlamentarisch-demokratischen Republik.
Zu den historisch herausragendsten Leistungen der Frankfurter Nationalversammlung gehört das am 21. Dezember 1848 verabschiedete „Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“. Zum ersten Mal erlangten damit Menschen- und Bürgerrechte Gesetzeskraft in Deutschland. Der auch die Weimarer Verfassung und das Grundgesetzes maßgeblich beeinflussende Grundrechtskatalog enthielt als Kernelemente die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs-, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit etc.) sowie die Abschaffung der Todesstrafe.
Die am 27. März 1849 verabschiedete Reichsverfassung sollte einen föderalen deutschen Einheitsstaat konstituieren, dem mit Ausnahme des Kaisertums Österreich alle Staaten des Deutschen Bundes angehörten (kleindeutsche Lösung). Sie sah einen erblichen Kaiser als Staatsoberhaupt vor, der auch das Recht zur Einsetzung der Regierung hatte. Dem Reichstag, der sich aus einem Staatenhaus und einem demokratisch zu wählenden Volkshaus zusammensetzte, oblagen vor allem die Gesetzgebung, das Budgetrecht und die Kontrolle der Exekutive. Die zentrale Frage der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament blieb allerdings offen und sollte später geregelt werden.
Als im April 1849 der von der Nationalversammlung zum „Kaiser der Deutschen“ gewählte preußische König Friedrich Wilhelm IV. das ihm angetragene Amt unter Berufung auf seine im Gottesgnadentum begründete monarchische Legitimation ablehnte, waren die Bemühungen der Paulskirche um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats praktisch gescheitert. Angesichts des Wiedererstarkens der monarchisch-restaurativen Kräfte in den deutschen Einzelstaaten resignierte das auch in der Bevölkerung schnell an Rückhalt verlierende Parlament und löste sich Ende Mai selbst auf. Mit der Auflösung des Stuttgarter Rumpfparlaments und der Eroberung der badischen Festung Rastatt im Sommer 1849 war auch der letzte revolutionäre Widerstand gebrochen und die mit großen Hoffnungen angetretene liberale und demokratische Einheits- und Freiheitsbewegung von 1848/49 endgültig gescheitert.
(Quelle: Bundestag)
Als Einführung in das Bildergespräch ist noch interessant zu wissen, was die Aufgabenstellung zum Wandgemälde war und welche Mitbewerber es neben Grützke gab. Von 9 eingeladenen Künstlern reichten 4 Künstler ihre Entwürfe ein. Johannes Grützke erreichte mit seinem Entwurf den 1. Platz, Jörg Immendorff den 2., A. R. Penck den 3. Platz und Prof. A. Hrdlicka blieb auf Platz 4 zurück.
In der Nachkriegszeit war bereits vorgesehen, die Wandelhalle der Paulskirche mit einem Fresko auszustatten. Nur eine künstlerische Arbeit kann die Kraft, die Leidenschaften, das Leid des persönlichen und politischen Scheiterns jener Vision eines besseren Deutschlands lebendig machen und lebendig erhalten, kann Geschichte zur ständigen Emotion für die Gegenwart ummünzen. Ein bloßes Historiengemälde ebenso wie eine völlig abstrakte künstlerische Darstellung wird dieser Aufgabe nicht gerecht. Vielleicht war das der Grund zur Entscheidung für Grützkes ironisch provozierendes Wandbild.
Grützke unterwarf sich nicht dem Diktat der Abstraktion seiner Zeit und entwarf realistische Bilder mit Humor und Ironie. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal und macht seine Malweise so interessant. Also kein abstraktes, aber auch kein typisches Historienbild, welches Grützke hier entwarf.
Das große Gemälde kann in mehrere Sektionen eingeteilt werden, die im folgenden besprochen werden:
Im 1. Abschnitt sind die Volksvertreter mit einem Schweinekoben konfrontiert.
Die ernsten, in schwarze Anzüge gekleidete Volksvertreter treffen auf einen Pferch voller Schweine. Es soll ein Schock erzeugt werden, ein Kontrast. Die Situation geht auf ein reales Ereignis zurück. Gegner der Volksversammlung der Paulskirche bezeichneten die Abgeordneten als einen Haufen Schweine. Es ging um die Herabsetzung des Parlaments. Der Maler wusste um diese Geschichte und will bewusst provozieren. Der Betrachter soll sich Gedanken machen. Dass diese Vorwürfe heute ebenso stattfinden, also zeitlos sind, ist mehr als erschreckend.
Ob die Birke, an welche sich einer der Männer festhält, eine besondere Bedeutung hat, bleibt offen. Typisch „deutsch“ ist dieser Baum nicht.
Im 2. Abschnitt mischen sich Teile „des Volkes“ unter die Abgeordneten. Zu sehen ist ein Mädchen mit Brot in der Hand und ein Mann von hinten. Beide sind im Gegensatz zu den Abgeordneten bunt angezogen. Die Kleider sind einfach und das Mädchen ist barfuß. Die in schwarzen Schuhen steckenden Parlamentarier stehen auf dem schönen Marmorboden, im Kontrast dazu steht das barfüßige Mädchen auf Erde oder Dreck, welcher das Podest an dieser Stelle bedeckt.
Die Kleider und die Arme des Mädchens bilden, so sieht es aus, die Farben der Trikolore. Evtl. ein versteckter Verweis auf die französische Revolution.
Das Mädchen umklammert das Brot, es ist wichtig für sie, sie hält das wenige, was sie hat, fast schützend fest. Die Parlamentarier schauen sie nicht einmal an. Sie gehen einfach an ihr vorbei, sie gehen „über sie hinweg“, obwohl das Mädchen das Volk ist und die Abgeordneten die Volksvertreter sein sollen. Allerdings nimmt auch das Mädchen keinen Kontakt zu den Abgeordneten auf. Man könnte also sagen, jeder der Abgeordneten beschäftigt sich mit sich selbst. Die Parlamentarier sind vereinnahmt von sich selbst, das Volk ist beschäftigt mit sich selbst.
Im 3. Abschnitt ist wieder ein Mädchen zu sehen und auch ein Schmied. Es werden die Handwerker angesprochen. Das Mädchen versucht diesmal Kontakt zu den Volksvertretern aufzunehmen. Man möchte meinen, die Untertanen bitten die Oberen um Schutz, einer der Volksvertreter scheint dem Mädchen zuzuhören. Der Bildausschnitt hat somit fast etwas Tröstliches. Jedoch schaut der Weißhaarige dahinter eher sehr pikiert auf das Mädchen herab. Der bärtige Abgeordnete dreht sich zum Schmied um. Der macht offensichtlich Lärm, macht auf sich aufmerksam. Der Untergrund ist jetzt nicht mehr Erde, aber auch nicht der glatte Marmor. Das Volk scheint kraftvoller zu werden, wenn man sich den Schmied ansieht. Drei Abgeordnete schauen jedenfalls verdutzt auf. Zudem muss man wissen, dass in der Versammlung von 1848 keine Frauen und keine Bauern vertreten waren. Auch nur ein einziger Handwerker war als Parlamentarier berufen. Wahrscheinlich wurde der Schmied deswegen von Grützke in Szene gesetzt.
Die Ironie, die vor allem in der Mimik der Figuren steckt, macht den Ernst des Bildes erträglich.
Das 4. Teilbild zeigt, wie die Volksvertreter hahnenhaft in aufgeblasener Ernsthaftigkeit entlang stolzieren. Die Ironie versinkt nicht im Lächerlichen, den Männern nimmt man ihre Ernsthaftigkeit ab. Grützkes Malerei ist realistisch, das Charakteristische wird getroffen und wirkt somit glaubhaft. Die kleine weiß gekleidete Figur zwischen den Beinen der Männer ist Grützke selbst. Zudem findet man noch zwei zwergenhafte Figuren, die miteinander raufen.
In diesem Abschnitt wird deutlich, dass das gesamte Werk in verschiedene vertikale Ebenen eingeteilt ist. Oben sind die Köpfe und die Mimik zu sehen, sie können Haltung bewahren. In der Mitte sind nur Anzüge zu finden und das „normale“ Volk befindet sich in der unteren Ebene. Hier, quasi unter der Gürtellinie, werden die Abgeordneten gestört.
Mit dem 5. Teilbild, der Abbildung einer männlichen Leiche mit Einschusslöchern im Körper, nimmt Grützke wieder Bezug auf eine reale Begebenheit. Es ist die Leiche von Robert Blum. Die Leiche wird dem Betrachter hingehalten, sie kommt dem Betrachter ungeschönt nahe. Die Darstellung erinnert an die Christusdarstellung bei der Abnahme vom Kreuz. Das politische Bild soll in eine religiöse Sphäre gehoben werden.
Robert Blum (* 10. November 1807 in Köln; † 9. November 1848 in der Brigittenau bei Wien) war ein deutscher Politiker, Publizist, Philhellene, Verleger und Dichter in den Jahren vor und während der Revolution von 1848. Er stammte aus der Unterschicht und hatte sich zum Teil autodidaktisch weitergebildet. Auch war er eine führende Persönlichkeit der liberalen und nationalkirchlichen Bewegung des Deutschkatholizismus.
(Quelle: Wikipedia)
In der Realität wurde die Leiche von Robert Blum nicht von den Parlamentariern getragen. Blum zählte zum linken Flügel der Paulskirchenversammlung. Er wurde bei einem Aufstand in Wien standesrechtlich erschossen. Ein Märtyrertod. Der linke Flügel war die Minderheit, die Mehrheit wollte die konstitutionelle Monarchie.
Durch die Darstellung bezieht Grützke eindeutig Stellung.
Im 6. Teilbild ist eine übergroße nackte Frau zu sehen, die zwischen den Parlamentariern sitzt. Ein Kind sitzt bei ihr und im Arm hält sie ein Baby. Die Frau ist größer als das dargestellte Volk und auch größer als die Parlamentarier. Einer der Volksvertreter steht mit seinem Fuß direkt im Schoß der Frau. Ist es nur Provokation?
In den Parlamentarierreihen gab es keine Frauen, sie mussten in der Paulskirchenversammlung auf der Galerie Platz nehmen.
Eine weitere Idee ist, dass sich im Gegensatz zur französischen Revolution (Vergleich zur Darstellung der Marianne „die Freiheit führt das Volk“ von Delacroix) das deutsche Volk sich seiner Kraft nicht bewusst ist. Beide Frauen werden barbusig dargestellt. Die eine in kämpferischer Haltung, die andere zwar groß, jedoch in sitzender Position mit gesenktem Kopf. Was für ein Kontrast.
Auf dem 7. Teilabschnitt sieht man zwei schafscherende Menschen und eine Statue ohne Attribute. Es könnte eine Frau sein, sie könnte auch schwanger sein, weil sie sich die Hand vor den Bauch hält.Ist es ein schwanger sein mit dem Gedanken an eine gerechtere gesellschaftliche Zukunft? Warum schauen die beiden Schafscherer nach oben? Man weiß nicht was los ist. Vielleicht kann man es auch als Symbol verstehen, wie das Volk geschoren und ausgenutzt wird. Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft, die beiden Schafscherer wollen den Kontakt mit den Volksvertretern aufnehmen. Durch ihren Blick wird eine Beziehung aufgebaut. Dagegen scheint die Statue wie versteinert abzuwarten.
Im 8. Teilausschnitt sieht man zwei Ringkämpfer im Vordergrund und im Hintergrund den Preußenkönig, Friedrich Wilhelm IV. Hier nimmt Grützke direkten Bezug auf die Geschichte der Paulskirchenbewegung. Ein Abgeordneter links schaut interessiert den Ringenden zu (ein Verweis auf die unterschiedlichen politischen Meinungen?), im Hintergrund beschäftigt sich schon ein Teil der Abgeordneten mit dem Preußenkönig. Ihm wollte man die Kaiserkrone antragen, um eine konstitutionelle Monarchie zu etablieren.
Doch der Preußenkönig lehnte mit den Worten ab, er nähme „keine Krone, welcher der Geruch der Revolution aus Dreck und Lehm anhängt.“ Dem Preußenkönig war die Einigung Deutschlands herzlich egal, er wollte von niemandem abhängig sein. Sein „Gottesgnadentum“ wäre damit nicht mehr gegeben.
Der 9. Teilabschnitt ist eine Fortführung der Geschichte. Die abgelehnte Kaiserkrone wird von den Abgeordneten auf einer Bahre davongetragen. Im Hintergrund gehen die anderen ihren Gang unbeeindruckt weiter.
Die Krone wirkt wie ein Requisit aus einem Satyrspiel. Keinen interessiert es, es gibt keine Verbindung zum Volk. Die Absage des Preußenkönigs zeigt deutlich, dass er nichts vom Volk hält.
Angesichts der Ablehnung der Krone und das gleichzeitige Erstarken monarchisch- restaurativer Kräfte in den deutschen Einzelstaaten verlor das Parlament auch im Volk Rückhalt und löste sich selbst auf. Die Revolution scheiterte, nachdem auch der letzte Widerstand gebrochen wurde.
Am Bildrand sieht man schon wieder den vorderen Teil des Schweinekobens. Der Rundgang um das Bild kann von neuem beginnen.
Fazit:
Gar nicht so einfach, dieses riesige Wandbild von Johannes Grützke zu erfassen. Vor einigen Wochen sah ich mir das monumentale Werk bei einem Besuch in der Paulskirche an. Nicht nur die Wandelhalle mit dem Wandbild, sondern auch der Plenarsaal im 1. OG kann kostenlos angeschaut werden. Im Zuge der 175-Jahr Feier soll die Paulskirche wieder in neuem Glanz erstrahlen. Das rief auch die konservativen Kritiker auf den Plan. Einen ganzen Tag lang wurde über das Wandgemälde von Grützke diskutiert. Das Bild sei nicht repräsentativ genug und sei zu provokant, es müsse entfernt werden. Zum Glück konnte sich diese Meinung bei der Kommission nicht durchsetzen. Es wäre m. E. ein großer Verlust, denn genau diese provokante, ironische Art bringt die Menschen zum Nachdenken über ernste, geschichtlich wichtige Themen.
Es stimmt, die Beleuchtung könnte besser sein und auch an Erklärungen mangelt es. Da könnte man durchaus Verbesserungen in Betracht ziehen. Zum Glück gibt es aber genug Menschen, die neugierig sind, die sich ihre eigenen Gedanken machen, die recherchieren um sich ein umfassenderes Wissen anzueignen. Vor allem aber Menschen, die miteinander reden, damit sich Gedanken kreuzen und ergänzen können. Der Austausch ist der Schlüssel zum besseren Verständnis.
Auch ich werde jetzt bestimmt noch einmal die Paulskirche und das Wandgemälde besuchen und meine Gedanken vertiefen. Wenn Kunst die Gesellschaft berührt, ist viel gewonnen. Und wenn man dann noch in den Austausch über das Gesehene tritt, ist das Ziel doppelt erreicht.
Weitere Informationen zu Johannes Grützke und dem Wandbild in der Paulskirche:
- Johannes Grützke bei Wikipedia
- Die Galerie Klaus Kiefer in Essen vertritt das Werk von Johannes Grützke. Auf ihrer Webseite wird „Der Zug der Volksvertreter“ ausführlich – mit vielen Detailaufnahmen – vorgestellt.
- 1991 würdigte Dirk Schwarze, der ehemalige Feuilletonchef der Kasseler Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen, das neue Wandbild in der Frankfurter Paulskirche.
- Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg zeigte 2011/12 im Rahmen einer Grützke-Retrospektive auch Linolschnitte zum „Zug der Volksvertreter“
- Nachruf auf Johannes Grützke 2017 in der Frankurter Neuen Presse.
- Die Frankfurter Rundschau stellt die Diskussion über den Umgang mit dem Wandgemälde im Frankfurter Stadtparlament 2022 dar.