NACHGELASSENES und NACHGETRAGENES

Michael Koschate in seinen Bildern und Zeichnungen

Am 7. September 2017 wurde im Foyer des Gallus Theater eine Ausstellung mit Werken von Michael Koschate (1935–2017) eröffnet.
Zur Eröffnung sprachen Prof. Dr. Georg Bussmann und Prof. Reiner Diederich. Annette Fischer sang, am Klavier begleitet von Despina Apostolou, Stücke von John Cage und Brecht/Eisler.

Einige Impressionen von der Vernissage (weiter durch Klicken aufs Bild):

Georg Bussmann: Die Zu-Malungen von Michael Koschate
Natürlich ist Zu-Malung kein richtiges Wort. Ich benutze es hier auch nur als gesprochenes Wort, und da – denke ich – beschreibt es das, was man vor Augen hat. Bedruckte Zeitungsseiten sind, immer folgend dem vorgegebenen Layout zugemalt, wieder und wieder. Das Übermalungen zu nennen, scheint mir zu schwach. Es geht darum, dass die gedruckten Texte ausgelöscht werden, dass sie nicht mehr existieren. Das kann zunächst wie eine Ironie wirken und vielleicht bleibt da auch, wenn das zum allgemeinen Thema, d. h. zur Serie wird, dieses Ironische als Unterton. Um so dringlicher wird die Frage, was passiert da eigentlich, was ist – ganz grundsätzlich – der Sinn von diesem Tun und was macht man mit den Ergebnissen?

Wenn ich die Blätter als Bilder anschaue, gibt es da diese zwei Realitäten. Die eine betrifft die bedruckten Seiten, die als Vorlage oder Vorwurf genommen werden und als Mitteilungssystem nicht lesbar, aber doch durchaus erkennbar bleiben. Und dann diese Zumalungen, die das, was da als Mitteilung gedacht war, auslöschen, zum Schweigen bringen. Also frage ich mich: Ist das Zumalen eine Reaktion auf das, was im Text gesagt wird? Ist das zum Schweigen bringen radikaler Widerspruch, Verneinung, d. h. Kritik an den Druckmedien, an dem Dauerlärm, den sie veranstalten? Ich denke, so kann man es sehen. Das wäre dann die erste Bedeutung: Eine Art Sarkasmus gegenüber der Wichtigtuerei der Presse, gegenüber deren Wahrheitsversprechen und überhaupt gegenüber deren ständiger Behauptung, dass das die Welt sei, in der wir leben. Ich denke, man kann das nachvollziehen, und wenn ja, hätte man damit einen ersten Sinn der Arbeiten von Michael Koschate.

Irgendwann, beim immer wieder Hinschauen auf dieses Bild „Blick in die Welt“, hatte ich das Gefühl, diese schwarzen Flächen sind nicht nur Zudeckungen, Auslöschungen von etwas Anderen, sondern sie sind selbst etwas. In ihnen steckt eine Energie, spürbar z. B. an der leichten Zittrigkeit der Konturen, die direkt die Energie der Hand spüren lassen, die da gemalt hat. Eine Hand, die zur Ruhe zwingt, zum Innehalten, zur Stille, und zum Verweilen in dem dichten Schwarz der Flächen.

Irgendwann, als ich wieder das Gefühl großer Fülle hatte, die verschlossen in diesen Bildern steckt, musste ich an die mittelalterlichen Schreibsäle in den Klöstern denken, wo Mönche, stumm, jeder für sich, die Evangelien aus Büchern abgeschrieben haben, was dann wiederum weitere Bücher ergab. Bei Michael Koschate geht es natürlich nicht um Evangelien, d. h. um letzte Wahrheiten, sondern – ganz im Sinne der Moderne – um den Versuch, die eigene Person herzustellen: das, was ich da mache, bin ich, und das zeige ich. Aber dies doch auch mit einem Anspruch auf Wahrheit, eine Wahrheit, die nicht direkt ausgesprochen wird, sondern verhalten ist, die in Bildern steckt und wie Bilder spricht und die eine Welt hinter der Welt eröffnet. Wären also diese Zumalungen letztlich Aufdeckungen?

 

Reiner Diederich: Zur Ausstellung von Michael Koschates Bildern
Die Idee zu dieser Ausstellung entstand erst vor nicht allzu langer Zeit. Michael Koschate wollte seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Kunst und seine Arbeit an und mit Bildern nun doch einmal zur Betrachtung und zur Diskussion stellen. Dazu gehört Mut für einen, der Kunst nicht zur Profession machen konnte und wollte. In der kleinen Selbstauskunft, die am Anfang der Ausstellung hängt und die er auf die Rückseite vieler Bilder geklebt hat, erklärt er, warum er das früh so entschieden hat. Dort steht in der für ihn charakteristischen unprätentiösen, bescheidenen und selbstironischen Art: „Nur dann und wann erlag ich noch ganz gern der Versuchung, dieses und jenes Flachzeug herzustellen.“

Wir haben die Ausstellung – nicht allzu streng – in drei Teile gegliedert, auf den drei Wänden, die zur Verfügung stehen. Zuerst die Anfänge in den späten 1950er Jahren, die Auseinandersetzung mit künstlerischen Strömungen, die es seinerzeit in der Bundesrepublik gab. Dann die Übermalungen von einzelnen Seiten aus Zeitschriften und Illustrierten, mit denen er damals begann und von denen er dann einige 2014 noch einmal neu in Vierergruppen zu Farbfeldern zusammenstellte. Schließlich Arbeiten, die mit Fotografie zu tun haben – als Collagen oder Montagen, meist zeitkritischen Inhalts.

Georg Bussmann hat schon über die Übermalungen oder „Zu-Malungen“ gesprochen. Ich möchte hier auch, auf die Gefahr hin, dass sich etwas wiederholt, ein paar Anmerkungen zu ihnen machen, weil sie mir als Michael Koschates vielleicht originellster und bedeutsamster Beitrag erscheinen.

Ausrisse aus Zeitungen – sie wurden, seitdem es die Collage gibt, seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, zu einem Material von Künstlerinnen und Künstlern. Fetzen von etwas Aktuellem, um Zeitgenossenschaft zu symbolisieren oder um surreale Wirkungen zu erzeugen. Die Übermalung von Zeitungen und Zeitschriften ist demgegenüber etwas anderes. Sie stellt eine aktive Auseinandersetzung mit den Massenmedien und ihrer Macht dar.

Durch die Übermalung verschwinden der Text und die Bilder – teilweise, unvollständig oder ganz. Sie werden mehr oder weniger entmächtigt. Das ist die eine Seite. Die Farbe wird wichtiger als das Gedruckte, das unter und hinter ihr liegt. Die Farbe ist viel schöner, differenzierter und delikater als das überdeckte Schwarz-Weiß auf billigem Papier. Ein möglicher Gedanke: Soll damit auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Texte und Bilder von Zeitungen und Zeitschriften doch nur das Immergleiche enthalten – die immer gleichen Nachrichten, Geschichten und Fotos von Krieg und Katastrophen, Politikern und anderen Prominenten?

Im Verschwindenlassen wird aber das Gedruckte andererseits spannender gemacht, man versucht, „dahinter“ zu kommen, hinter das Geheimnis, das von der darüber liegenden Schicht Farbe verdeckt wird, auch wenn es noch so banal ist.

Seit dem Ende der 1950er Jahre hat Michael Koschate Seiten von Zeitschriften übermalt. Das macht einen wesentlichen Teil seiner Auseinandersetzung mit Bildern aus. Wir haben deshalb ein Beispiel für die Einladung zu dieser Ausstellung benutzt. „Blick in die Welt“ war der Titel einer Illustrierten, die er damals als Vorlage hatte. Darunter entstand ein schwarzer Block, dann die freigelassene Überschrift: „Hier hat man ein Grenzproblem auf einfache Weise gelöst“ – und wieder Schwarz. Einige Betrachterinnen und Betrachter haben das auf auf die Gegenwart, auf 2017 bezogen und spontan gesagt: So ist es. Der Blick in die Welt erscheint heute verfinstert.

Aber 1958, als diese Übermalung gemacht wurde? Das war doch die Zeit des Wirtschaftswunders, der ersten Reisewelle, die mindestens ins sonnige Italien führte, das Ende der Nachkriegszeit. Michael Koschate sah es anders: Es war auch die Zeit des Beschweigens oder halben Beschönigens der Nazi-Vergangenheit, der Flucht in den Konsum. Durch seine Übermalungen weist er darauf hin, was alles überdeckt werden sollte. Einmal kann man den Namen „Schirach“ lesen, im NS-Regime „Reichsjugendführer“, und ein Foto von Hitler scheint schwach durch die Farbe durch.

Andererseits wird die Reklame für Miele-Waschmaschinen, den beliebten Weinbrand Scharlachberg, die „Miß Baby 1958“ und andere Markenprodukte durch leichte Übermalung gestört und verfremdet, quasi schmutzig gemacht.

Schließlich überdeckt die Farbe alles – der Übergang zur Abstraktion und Farbfeldmalerei ist erreicht. Aber auch da ist manchmal noch etwas zu ahnen, wenn man nahe genug heran geht und genau hinschaut.

Es ist das Verdienst von Michael Koschate, die Vergänglichkeit von alltäglichen Bildern in seinen Übermalungen sichtbar gemacht und sie zugleich darin aufbewahrt zu haben. Umso mehr stellt sich die Frage nach dem Wesen der Dinge, dem Wesentlichen hinter den Erscheinungen, dem nicht nur von den Medien verbreiteten Schein. Die Kunst kann sie stellen. Aber nur wir selbst können uns um Antworten bemühen.